Beim Unterricht in Berliner Reitställen trifft man nicht nur kleine Mädchen und Jugendliche.
Viele Erwachsene erfüllen sich auf dem Pferderücken einen Kindertraum.
Zum Reitenlernen ist es nie zu spät
Von Tanja Kotlorz, Berliner Morgenpost von 19.08.2006
Dem Pferd reicht's. Nach drei Galoppsprüngen möchte Wallach "Syvallo" nicht weiter galoppieren. Unvermittelt fällt der Mecklenburger Trakehner Fuchs (12) in eine gemächlichere Gangart. Auf ihm sitzt Heiko Manfeldt und schaut etwas überrascht. So hatte der Reitanfänger das nicht geplant. Eigentlich wollte er sein Schulpferd dazu bringen, mehrmals im großen Kreis (Reiterjargon: auf dem Zirkel) in der Reithalle in Dallgow Döberitz zu galoppieren. Heiko Manfeldt ist 39 Jahre alt und war bis vor kurzem noch Motocrossfahrer. Zündschlüssel rumdrehen, schon ist seine 64PS starke Maschine startbereit. Bei Syvallo ist das spannender, aber auch unberechenbarer und viel komplizierter: "Der innere Schenkel liegt am Sattelgurt und übt leichten Druck aus, der äußere Schenkel liegt eine Handbreit hinter dem Sattelgurt, die innere Gesäßhälfte etwas vorschieben, die Zügel kürzer nehmen, beim ersten Galoppsprung den inneren Zügel etwas nachgeben Alles klar?"
In einem Atemzug hat Trainerin Nicole Sinka Weber ihrem Reitschüler Heiko die wichtigsten Regeln (Hilfen) zum Angaloppieren erteilt. "Hört sich kompliziert an", räumt die Lehrerin ein. Ist es auch. Erst beim dritten Anlauf galoppiert Syvallo brav seine Runden in der Reithalle. Und Heiko strahlt wie ein glücklicher Teenager.
Dass der Brandenburger im Alter von fast 40 Jahren mit dem Jungmädchensport Dressurreiten angefangen hat, war eher Zufall. "Ich setze mich da jetzt drauf und zeige, dass ich kein Feigling bin", hatte er sich und seiner reitenden Freundin Rieke versprochen. Schwups saß er auf einem 1,70 Meter großen Pferd. Aus einer Mutprobe wurde eine Leidenschaft. Und aus einer Reitstunde sind mittlerweile 50 geworden. Klassischer Pferdevirus, der nicht nur kleine Mädchen infizieren kann. Fast jeden Tag schwingt sich der sportliche Unternehmer jetzt abends in den Reitsattel "Um den Kopf frei zu bekommen", wie er sagt. Sitzt der gelernte Schlosser auf dem Pferd, lässt er den Beruf hinter sich. Zum Reiten braucht er volle Konzentration. Die Sache sieht nämlich einfacher aus als sie ist. Selbstkritisch stellt er fest: "Ich mache noch zuviel mit Kraft." Einmal hat er sich mit seinem Schulpferd völlig missverstanden. Das Tier ging Schlangenlinien und Heiko fiel runter. "Danach war ich etwas vorsichtiger."
Die jüngsten Freizeitreiter in der Reitsportanlage in Dallgow-Döberitz (gleich hinter Berlin Spandau an der B5) sind gerade erst vier Jahre alt. Von den 120 Reitschülern, die bei Nicole Sinka Weber auf den zehn Schulpferden das Reiten erlernen, ist die Hälfte im Erwachsenenalter. Laut einer Ipsos Studie (Marktanalyse Pferdesportler in Deutschland 2001) für die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) sind nahezu ein Viertel der Reitanfänger keine Teenager mehr. Die älteren Reitnovizen fragen die Dallgower Trainerin meist erst zögerlich, ob es sich denn überhaupt noch lohne, mit dem Sport anzufangen; ob man auch eine Unterrichtsstunde ganz spät, am besten mutterseelenallein bekommen könne. "Vielen ist es peinlich, und sie fühlen sich zu alt", weiß die Reitlehrerin. Dabei gebe es keine Altersbegrenzung für den Sport. "Bei mir hat ein Schüler im Alter von 63 Jahren mit dem Reitsport angefangen und noch das Reitabzeichen geschafft." Die Motivation der späten Reitsportler sei unterschiedlich: Der Partner reitet und man möchte den Sport gemeinsam ausüben. Manche erfüllen sich ihren Kindheitstraum. Andere sind neugierig, naturverbunden oder einfach pferdeverrückt. Das größte Problem der betagten Anfänger: Sie denken zuviel. "Reiten ist Bewegungslernen", erklärt Lehrerin Nicole Sinka-Weber. Man muss sich auf die schwingenden Bewegungen des Pferdes einlassen. Fühlen statt grübeln. "Am schlimmsten ist es, wenn sie schon ein Buch über das Reiten gelesen haben", meint Nicole und lacht.
"Heiko, guck geradeaus, damit du die Balance halten kannst', rät sie ihrem Schüler.
Monis Pferd "Bambi" (11) langweilt sich schon. Das brave braune Reitpony schleicht immer langsamer an der Hallenbande entlang. Abwechslung muss her. "Lass' mal die Zügel lang, und dann nimmst du sie wieder auf', lautet das Kommando der Lehrerin. Moni lässt langsam die Zügel aus den Händen gleiten und nimmt sie geschickt wieder auf. Moni heißt eigentlich Monika Ediger. Sie will "dem Alter davon galoppieren", sagt sie und grinst. Die kleine zierliche Charlottenburgerin ist Pädagogin im Ruhestand und bereits 65 Jahre alt. Das Alter sieht man ihr nicht an: Die langen blonden Haare sind zum frechen Zopf gebunden, die schmale Figur wird durch eine knappe Jeansweste betont. Sie hat sich ihren Mädchentraum erfüllt. Mit 53 Jahren wenn andere lieber zum Golfschläger greifen hat Moni mit dem Reitsport angefangen. Breitbeinig wie John Wayne ist sie anfangs vom Pferd gestiegen, hatte fiesen Muskelkater in den Beinen. Drei Mal ist sie runter gefallen und immer wieder aufgestiegen. Kerzengerade sitzt sie heute im Sattel und trägt eine perfekte Reitmontur: Hose mit Lederbesatz, Reitchaps und Kappe. Sie will alles richtig machen, ist ehrgeizig. Nur manchmal packt sie die Angst. Dann zieht sie die Beine ein bisschen hoch. Aber Ponywallach Bambi hat ein gutes Gemüt und nutzt die Schwäche seiner Reiterin nicht aus. Für Moni steht fest: "Ich reite bis ich 90 bin."
"Immer schön Ausatmen, damit die Bauchmuskulatur locker wird", ermuntert Sinka-Weber ihre Anfänger. Wer nicht atmet verkrampft, bekommt Seitenstiche und hat keine Freude mehr. Und Spaß machen soll Reiten schließlich in erster Linie. Dazu gehört auch die Vorbereitung der Tiere: Striegeln, Streicheln, Satteln.
Wenn Heiko Manfeldt in den Reitstall kommt, steht Syvallo meist noch auf der Weide. "Na, du alter Schmodderkopf", begrüßt er den Fuchs im kameradschaftlichen Ton. Das Pferd hat sich im Matsch gewälzt. Dicke, getrocknete Dreckklumpen hängen an seinem Fell. Ohne Protest lässt sich das Pferd am Halfter von der Wiese führen. In der Stallgasse beim Putzen ist der Wallach nicht mehr so gut aufgelegt. Immer wieder legt er bedrohlich die Ohren an und bleckt auch mal mit den Zähnen. Heiko kennt das schon und bleibt gelassen: "Syvallo ist kitzelig, besonders unterm Bauch."
Drei Stunden investiert Heiko Manfeldt täglich in den Freizeitsport: Eine Stunde braucht er, um das Pferd vor und nach dem Unterricht zu putzen, danach wird noch in der Reiterstube geklönt.
Heikos Traum ist es, irgendwann so sattelfest zu sein, dass er durch die märkische Prärie galoppieren kann. Doch bis dahin braucht er noch ein paar Lektionen auf dem Pferderücken.
TIPPSGesundheit
Grundsätzlich kann jeder mit dem Reitsport anfangen. Wer aber Rückenprobleme hat, an einer Bandscheibe operiert wurde und überhaupt gerade eine Operation hinter sich hat, sollte erst einen Arzt konsultieren. Kein Hindernis stellen künstliche Knie oder Hüftgelenke dar. Selbst Tierhaarallergiker können das Reiten erlernen, sofern jemand den Putzjob übernimmt.Einstieg
Die erste Reitstunde findet meist an der Longe statt: Das Pferd läuft im Kreis an einer langen "Leine" und der Reiter versucht, die Balance zu halten und sich auf seinen Sitz zu konzentrieren. Es gilt, sich in die schwingenden Bewegungen des Pferdes einzufühlen.Ausrüstung
Mitbringen sollte man in jedem Fall festes Schuhwerk. Am besten Stiefel mit einem kleinen Absatz, damit man nicht gleich aus den Steigbügeln rausrutscht. Turnschuhe sind schlecht, da zu glatt. Die Hose sollte bequem sein und keine störenden Innennähte haben, um Scheuerstellen zu vermeiden. Eine Reitkappe ist ein absolutes Muss. Alternativ geht auch ein Fahrradhelm, der TÜV geprüft ist. Lange Haare am besten zusammenbinden. Schmuck und Schals sind hinderlich und können zu Hause bleiben. Mitbringen sollte man für den neuen vierbeinigen Freund eine Möhre, einen Apfel oder hartes Brot.